Die Anzahl der Suizide hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten halbiert – von rund 18.000 auf 9.000 Fälle pro Jahr. Die bessere Versorgung von Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen dürfte diese erfreuliche Entwicklung erklären. Der Wissensstand zu der Erkrankung Depression hat sich in der Gesellschaft verbessert und mehr Menschen suchen sich professionelle Hilfe. Prof. Ulrich Hegerl, Vorstand der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, beschreibt die Krankheit und macht Patienten Mut, sich Hilfe zu holen.
Dieser Text beschäftigt sich mit Depressionen. Betroffene oder Menschen, die das potenziell belastet, sollten eventuell nicht weiterlesen. Stattdessen gibt es am Ende des Textes Infos zu kostenlosen und anonymen Beratungsstellen.
Herr Prof. Hegerl, was löst eine Depression aus?
Entscheidend ist die Veranlagung. Menschen mit dieser Veranlagung rutschen immer wieder in diesen speziellen Krankheitszustand, und häufig gibt es weitere Erkrankte in der nahen Verwandtschaft. Diese Veranlagung kann vererbt sein oder auch erworben durch Traumatisierungen und Missbrauchserfahrungen in der frühen Kindheit. Manchmal, aber keineswegs immer, geht ein Auslöser voraus, etwa eine Überforderung, Konflikte in Beruf und Partnerschaft oder andere Lebenskrisen. Wichtig ist aber zu wissen, dass die Depression eine eigenständige Krankheit ist, und viel weniger von derartigen äußeren Faktoren abhängt, als die meisten Menschen glauben. Es gibt daher auch keine Depressions-Epidemie durch die Corona-Krise. Sorgen, Stress und Ängste durchaus, das sind aber normale menschliche Reaktionen und keine Erkrankungen. Stark beeinträchtigt sind jedoch Menschen, die unter einer depressiven Erkrankung leiden. Diese berichten über massive Nachteile und Verschlechterungen der Depression wegen der Maßnahmen gegen Corona. Stationäre Behandlungen werden abgesagt und ambulante Termine oder Selbsthilfegruppen fallen aus oder werden von den verängstigten Patienten selbst abgesagt.
Wie macht sich diese Erkrankung bemerkbar?
In der Depression erkennen sich die Betroffenen oft selbst nicht mehr wieder. Sie fühlen sich völlig verändert, hoffnungslos, innerlich angespannt und erschöpft. Auch eine Neigung zu Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen sowie Schlafstörungen sind typisch.
Das Thema Depression ist oftmals noch ein Tabu in der Gesellschaft. Ändert sich da auch mit den „Outings“ manch Prominenter etwas?
Die Stigmatisierung ist nach wie vor hoch, vor allem auch die Selbststigmatisierung. Die Betroffenen sehen sich als schwach oder als Versager, da sie nicht erkennen, dass Depression eine eigenständige, schwere Erkrankung und mehr als eine Reaktion auf eine schwierige Lebensphase ist.
Welches sind die wichtigsten Botschaften für einen an Depression erkrankten Menschen?
Zum einen muss klar werden, dass es sich um eine ernsthafte, oft auch lebensbedrohliche Erkrankung handelt, die konsequent und professionell behandelt werden muss. Zum anderen ist es wichtig zu wissen, dass Depressionen nichts mit Schuld zu tun haben und gut behandelbar sind.
Wie sieht die Behandlung aus?
Antidepressiva und Psychotherapie sind die beiden wichtigsten Säulen der Behandlung. Zuständig für die Behandlung sind drei Berufsgruppen: die Fachärzte, also die Psychiater oder Nervenärzte, die mit Medikamenten und Psychotherapie behandeln können. Zweitens die Psychologischen Psychotherapeuten, d.h. Psychologen mit einer Spezialausbildung in Psychotherapie, die keine Medikamente verschreiben, jedoch wie die Ärzte über die Kasse abrechnen können, und drittens die Hausärzte, die im ambulanten Bereich einen Großteil der depressiv Erkrankten behandeln, meist mit Antidepressiva.
Verstecken viele Patientinnen oder Patienten ihre Symptome in der Öffentlichkeit?
Oft sind die Patientienteinnen und Patienten ja im gesunden Zustand verantwortungsvolle und hilfsbereite Menschen, die mitten im Leben stehen. Manchen gelingt es, mit großer Anstrengung eine Fassade aufrecht zu erhalten, sodass für Außenstehende die Erkrankung nicht immer gleich sichtbar ist. Meist erkennen aber auch Angehörige, dass sich der oder die Erkrankte verändert hat, zurückzieht und permanent erschöpft ist.
Wenn im Leben etwas schiefläuft, bedeutet das noch keine Gefahr, in eine Depression zu rutschen?
Die Depression ist eine eigenständige, die Gehirnfunktionen betreffende Erkrankung, und viele Patientientinnen und Patienten verlieren kostbare Zeit, weil sie glauben, ihr Zustand sei auf schwierige Lebensumstände oder persönliches Versagen zurückzuführen. Wer die Veranlagung zu der Krankheit hat, hat das Risiko, mehrfach im Leben in eine depressive Phase zu rutschen. Man kann sich das so vorstellen, dass die Depression sich etwas Negatives sucht – und sie findet immer etwas. Falsche Entscheidungen, Enttäuschungen, schlechte Angewohnheiten. Dieses Negative wird dann vergrößert und ins Zentrum gerückt – ist aber dennoch nicht die Hauptursache der Depression.
Kann man die Krankheit komplett hinter sich lassen?
Depressionen sind gut behandelbar und in der Regel findet man eine Pharmako- oder Psychotherapie, die gut vertagen wird und wirkt. Durch ein Pharmakotherapie lässt sich auch das Rückfallrisiko um rund 70 Prozent senken.
Wie können Angehörige helfen?
Zunächst sollten diese sich gut informieren, um mehr Verständnis für das veränderte Verhalten zu haben. Infos sind beispielsweise bei der Deutschen Depressionshilfe zu finden. Auch sollte man wissen, dass Angehörige weder Schuld an der Erkrankung haben, noch verantwortlich für die Heilung sind. Etwas spitz formuliert: Liebe und Zuspruch können Depressionen ebenso wenig heilen wie einen entzündeten Blinddarm.
Zur Person
Prof. Ulrich Hegerl (Jg. 1953) ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe (www.deutsche-depressionshilfe.de). Darüber hinaus leitet er das Deutsche Bündnis gegen Depression und die European Alliance Against Depression (www.EAAD.net). Seit mehr als 30 Jahren setzte er sich mit großem Engagement für die bessere Erforschung und Aufklärung über Depression und die Suizidprävention ein. Seit 2013 ist Prof. Ulrich Hegerl Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Behandlung psychisch erkrankter Menschen und war bis März 2019 Klinikdirektor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum in Leipzig. Seit Juni 2019 hat er die Johann Christian Senckenberg Distinguished Professorship an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt inne.
Finanzielle Vorsorge nicht vergessen
Da psychische Erkrankungen jeden und jede treffen können, sichern Sie Ihre Arbeitskraft am besten frühzeitig und selbstbestimmt ab. Beispielsweise über eine Berufusnfähigkeitsversicherung. Doch was ist, wenn beispielsweise bereits eine Depression diagnostiziert wurde? Dann kann eine Grundfähigkeitsversicherung eine gute Alternative zur Berufsunfähigkeitsversicherung darstellen. Auch wenn diese dann keine Leistungen für psychische Erkrankungen bietet, kann sie eine gute Absicherung anderer wichtiger Grundfähigkeiten für das Erwerbsleben darstellen.
Arbeitskraft absichern mit Swiss Life
Sie wollen Ihre Arbeitskraft absichern, sind sich aber unsicher, welche der verschiedenen Möglichkeiten zu Ihnen passt?
Absicherung für Ihre Branche
Die eigene mentale Gesundheit ist ein hohes Gut für jeden Menschen. Daher ist eine frühzeitige Absicherung der eigenen Arbeitskraft wichtig, um im Ernstfall finanziell selbstbestimmt zu bleiben. Die Branchenlösungen MetallRente, KlinikRente und ChemieRente (AKS Flex) bieten Mitarbeitenden in speziellen Branchen maßgeschneiderte Absicherungslösungen mit besonderen Vorteilen und Highlights.