Wie wirken sich die Krisenerfahrungen der Generation Z auf die Lebensplanung, die Arbeitsethik und das Vorsorgeverhalten der jungen Menschen aus? Ein Gespräch mit Klaus Hurrelmann, dem Doyen der deutschen Jugendforschung.

Herr Hurrelmann, Sie fühlen der Jugend seit Jahrzehnten den Puls. Was zeichnet die um die Jahrtausendwende geborene Generation Z besonders aus?
Bemerkenswert und in dieser Form vielleicht einmalig ist die paradoxe Lebenserfahrung, die die jungen Menschen gerade machen: Sie erleben die Welt einerseits als sehr negativ, andererseits aber auch als sehr positiv. Und beides prägt das Mindset dieser Generation. Sie ist gleichzeitig pessimistisch und optimistisch.

Inwiefern optimistisch? Klimawandel, Corona-Pandemie, die Kriege in der Ukraine und in Israel – wer heute unter 25 ist, ist doch mit Krisen aufgewachsen?
Richtig. Und noch gravierender ist, dass sich diese Krisen fortsetzen und gegenseitig überlagern. Deshalb spreche ich auch von einer Jugend im Dauerkrisenmodus. Das verdüstert natürlich den Zukunftsblick der Gen Z. Viele leiden unter Stress und sind erschöpft. Aber – und das darf man nicht übersehen – bei der Ausbildung und im Berufsleben finden die Jungen heute einmalige Chancen, wie es sie seit Jahrzehnten nicht gab. Weil die Babyboomer aus dem Erwerbsleben ausscheiden, entsteht in den nächsten Jahren ein enormer Mangel an Arbeitskräften. Die junge Generation hat also hervorragende Perspektiven. Das prägt ihre Mentalität und kompensiert das Krisengefühl zumindest teilweise.

Trifft das auf die ganze europäische Jugend zu?
Das gilt für viele Länder, vor allem im deutschsprachigen Raum und in Nordeuropa. Entscheidend sind die sozialen Strukturen und die wirtschaftliche Verfassung der Länder. In südeuropäischen Ländern wie Italien oder Spanien, wo die Jugendarbeitslosigkeit noch immer sehr hoch ist, blicken die Jungen pessimistischer in die Zukunft. Frankreich liegt irgendwo dazwischen.

Klaus Hurrelmann
Was die Generation Z einzigartig macht: Sie ist gleichzeitig pessimistisch und optimistisch.

Wie steht es um die finanzielle Zuversicht der Generation Z?
Trotz der guten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sorgt sich die Jugend um ihre finanzielle Absicherung. Die Inflation ist in Deutschland, mit 71 Prozent, sogar die Sorge Nummer 1, wie unsere Studie „Jugend in Deutschland” gezeigt hat. Auffallend ist auch: Viele junge Menschen sehen bei der Altersvorsorge große Probleme. In Deutschland haben drei Viertel der befragten 14- bis 29-Jährigen Angst davor, später eine tiefere Rente zu bekommen und in die Altersarmut abzurutschen.

Spart die Generation Z nun vermehrt selbst fürs Alter?
Die Jungen sind sich ihrer Eigenverantwortung zwar bewusst, bei der Umsetzung hapert es aber noch. So spart in Deutschland zwar rund die Hälfte der jungen Menschen fürs Alter, aber nur 37 Prozent legen dafür regelmäßig Geld zurück. Bei vielen bietet das Einkommen nur wenig Spielraum für langfristige Investitionen. Zudem fehlt es den Jungen an auf sie zugeschnittenen Angeboten und realistischen Investitionsmöglichkeiten. Insofern herrscht eine große Ratlosigkeit und Irritation.

Laut einer Umfrage von Swiss Life Deutschland haben 28 Prozent der Generation Z Aktien im Portfolio. Entwickeln sich Aktien zum neuen Sparbuch?
Tatsächlich ist die Bereitschaft der jungen Generation zu renditeorientierten Geldanlagen sprunghaft angestiegen. In Deutschland standen Aktien und Fonds 2022 als Sparform sogar erstmals an erster Stelle. Die Generation Z reagiert damit ganz rational auf das andauernde Niedrigzinsumfeld. Gleichzeitig hat sie aber auch hohe Erwartungen an den Staat, der seine Verantwortung wahrnehmen und für eine gute gesetzliche Rente sorgen soll.

Klaus Hurrelmann
Die hervorragenden Jobaussichten der Gen Z kompensieren zum Teil das Krisengefühl der Jugend.

Hat sich das Finanzwissen der Jungen dank der Digitalisierung verbessert?
Nur wenig. Das Finanzwissen der Jungen ist bei Weitem noch nicht zufriedenstellend und hängt stark vom allgemeinen Bildungsgrad ab. Bei ihren Selbstrecherchen im Internet merken die Jungen schnell, dass es viele ungesicherte Quellen gibt und es ziemlich kompliziert ist, sich allein zurechtzufinden. Die große Mehrheit wünscht sich, dass in der Schule erheblich mehr über die Themen Geld und Anlegen gesprochen wird. Besonders wichtig wäre das auch für die jungen Frauen, denn bei Finanzfragen scheint die Emanzipation Halt zu machen.

Inwiefern?
Junge Frauen schneiden bei Tests erheblich schlechter ab als junge Männer. Ihre Bereitschaft, sich mit Vorsorgefragen auseinanderzusetzen, ist deutlich geringer, was sich in einem ungünstigen Anlageverhalten niederschlägt. Seltsamerweise herrscht immer noch die Vorstellung, dass in einer Partnerschaft der Mann die finanziellen Entscheidungen treffen soll. Das ist umso erstaunlicher, als Frauen durchschnittlich einen höheren Bildungsgrad haben und auch beruflich immer mehr Karriere machen wollen. Es braucht deshalb Initiativen, die junge Frauen gezielt ermutigen und sie dabei unterstützen, ihre finanzielle Zukunft und Vorsorge selbst in die Hand zu nehmen.

Wie wichtig ist es der Generation Z, dass sie viel verdient?
Sehr wichtig. Infolge gestiegener Inflationsängste ist zumindest für die Deutschen das Gehalt bei der Jobwahl sogar zum wichtigsten Kriterium geworden, nachdem eine Zeit lang die Work-Life-Balance bzw. die Freizeit im Vordergrund gestanden hatte. In unserer Studie gaben 60 Prozent der Jugendlichen an, dass Geld für sie die größte Motivation sei bei der Jobwahl, gefolgt von Spaß mit 43 Prozent. Der sogenannte Purpose, also die Sinnhaftigkeit einer Arbeit, ist nur noch für 22 Prozent der Befragten besonders wichtig.

Klaus Hurrelmann
Bei Finanzfragen scheint die Emanzipation Halt zu machen.

Gleichzeitig wollen viele junge Menschen weniger arbeiten. Wieso denken sie diesbezüglich so anders als ihre Eltern und ihre Großeltern?
Die Generation Z ist durch die vielen existenziellen Krisen verunsichert, die Zukunft erscheint ihnen ungewiss. Zudem glauben sie, sowieso nicht so wohlhabend werden zu können wie die eigenen Eltern. Und schließlich gehen sie davon aus, dass sie länger arbeiten müssen und möglicherweise gar nie eine Rentenzeit im heutigen Sinn erleben werden. Das alles führt dazu, dass sie sich nicht zu sehr an den Arbeitsplatz binden und unbedingt verhindern wollen, dass ihre Lebensqualität unter dem Job leidet. Sie wollen keine Überstunden machen, freitags früher gehen und an manchen Tagen gar nicht arbeiten. Kurz: Die Gen Z will flexibel und selbstbestimmt arbeiten.

Lässt sich diese Arbeitshaltung unter dem viel diskutierten Begriff „Quiet Quitting“ subsumieren?
Ja, wobei man den Begriff nicht wörtlich übersetzen darf. Geprägt wurde der Ausdruck von einem jungen Amerikaner, der in einem viral gegangenen Tiktok-Video die neue Arbeitsethik auf den Punkt bringt: „Arbeit ist nicht dein Leben.“ Es geht also nicht um eine innere, stille Kündigung, mangelnde Motivation oder gar Arbeitsverweigerung. Es geht um die Sorge, in einen Prozess hineinzugeraten, der einen auffrisst und sogar gesundheitlich schädigt. Die Metapher steht für die innere Abgrenzung von einer Überlastung. Deshalb finde ich den Begriff einer eingebauten „Burn-out-Sperre“ zutreffender.

Was bedeutet das für die Arbeitgebenden?
Will ein Unternehmen für junge Menschen attraktiv sein, dann muss es sich auf die Wünsche und Vorstellungen der Generation Z einlassen. Es gilt, genau hinzuhören, die jungen Mitarbeitenden in Entscheidungen einzubinden und zu überlegen, wie sie den Arbeitsalltag mitgestalten können.

Ist der Graben zwischen Alt und Jung größer denn je?
Nein. Grundsätzlich unterscheiden sich die Werte zwischen den Generationen nur wenig. Und dass die Alten gegenüber den Jungen gewisse Vorbehalte haben, das war schon immer so. Das Anderssein der Gen Z ist ein disruptiver Faktor für die Gesellschaft – und Disruption ist immer auch eine Voraussetzung für Innovation.

Klaus Hurrelmann

Klaus Hurrelmann

Klaus Hurrelmann ist der prominenteste Jugend- und Generationenforscher Deutschlands. Er ist Professor für Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin und führt seit den 1980er-Jahren vergleichende Studien zu Einstellungen, Wertorientierung und Verhaltensweisen von Jugendlichen durch. Dazu gehörte über Jahrzehnte die berühmte „Shell-Jugendstudie“ und seit 2019 veröffentlicht Hurrelmann die regelmäßig erscheinenden Trendstudien „Jugend in Deutschland“. Der Sozialwissenschaftler ist Autor einer Vielzahl von Lehrbüchern und war Mitglied des Expertenrats Demografie beim deutschen Bundesminister des Innern.

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