Mit seiner Botschaft „Deutschland hat Rücken“ stellt Bestseller-Autor und Schmerzspezialist Roland Liebscher-Bracht die Volkskrankheit Nummer eins in Deutschland in den Fokus. Im Interview verrät er, wie Rückenschmerzen entstehen und gibt praktische Tipps, wie Sie selber etwas dagegen tun können.

Herr Liebscher-Bracht, wie entstehen Rückenschmerzen?
Rückenschmerzen entstehen dadurch, dass wir zu viel sitzen und sitzend – also mit angewinkelten Beinen – schlafen. Das verkürzt den Hüftbeuger, den rectus femoris, und auch andere Muskeln wie den geraden Bauchmuskel, der dann zu viel Zug nach vorne entwickelt, vor allem über das Bindegewebe. Wenn vorne alles zieht, müssen die hinteren Muskeln – auch die Gesäßmuskeln – immer mehr dagegen spannen, damit der Mensch noch geradestehen kann. Das ist quasi ein „Rüstungswettlauf“ zwischen den hinteren und vorderen Kräften. Dazwischen sitzt die Wirbelsäule mit ihren Bandscheiben. Abgesehen von den brennenden Schmerzen durch die Überlastung der Rückenstrecker, entstehen sogenannte Alarmschmerzen, die davor warnen, dass die Bandscheiben geschädigt werden. Es kommt zu Bandscheibenvorwölbungen und -vorfällen. Wichtig: Die Schmerzen kommen immer von den umliegenden Muskeln und Faszien, nicht von der Bandscheibe an sich.

Welche Rolle spielen Ernährung, Psyche und Umfeld?
Die Ernährung, Psyche und das Umfeld können die Anspannung der Muskeln erhöhen und wirken somit schmerzverstärkend. Die Ernährung beeinflusst den Muskeltonus. Bei gesunder, auf Pflanzen basierender Ernährung geht die Muskelspannung und damit der Schmerz im Allgemeinen zurück. Es gibt entzündungshemmende Lebensmittel, zum Beispiel Kartoffeln, Buchweizen, Vollkornreis, wilder Reis, Quinoa, Linsen, Nüsse, Avocados und viele Gemüsesorten. Last but not least spielt das Umfeld eine Rolle: Heutzutage weiß man, dass viele Rückenschmerzen durch Stress verursacht werden. Zudem spielen auch Umweltfaktoren eine Rolle.

Roland Liebescher-Bracht@Katharina Werner
Heutzutage weiß man, dass viele Rückenschmerzen durch Stress verursacht werden.

Was kann man für einen gesunden Rücken tun?
Wir müssen durch entsprechende ausgleichende Übungen vorbeugen – vor allem gegen das Sitzen, bei dem wir immer einen 90-Grad-Winkel mit der Hüfte annehmen und somit der Hüftbeuger und andere begleitende Muskeln verkürzt werden. Die wichtigste Übung: den Körper nach hinten überstrecken. Allein schon diese Ausgleichsbewegung führt dazu, dass bei 99 Prozent der Menschen, die sie anwenden, erst gar keine Rückenschmerzen aufkommen. Es klingt verrückt, aber so einfach wäre die Volkskrankheit Nummer eins auszumerzen.

Deutschland hat Rücken? Hier geht es zu aktuellen Zahlen.

Acht von zehn Menschen leiden unter Rückenschmerzen – seit Corona sind die Beschwerden deutlich angestiegen.

Welche Maßnahmen sind wirklich hilfreich gegen akute und chronische Schmerzen?
Ob akut oder chronisch, spielt gar keine Rolle. Wir haben erforscht, dass es unumgänglich ist, an die Ursache des Schmerzes heranzugehen, statt nur die Symptome zu behandeln. Chronisch im Sinne einer Erkrankung, inklusive Schmerzgedächtnis, trifft in den meisten Fällen nicht zu. Chronische Rückenschmerzen sind meistens nie in Bezug auf ihre wirklichen Ursachen – nämlich die Verspannungen der Muskeln und Faszien – behandelt worden und sind daher nie weggegangen. Geht man aber, wie auch in unserem Buch „Deutschland hat Rücken“ beschrieben, mit Übungen, Dehnungen und Osteopressur ganz gezielt gegen die Verspannungen vor, lösen sich die Schmerzen auf.

Welche Übungen kann man im Alleingang zu Hause durchführen?
Was man immer machen kann: im Stehen nach hinten überstrecken. Dabei wird womöglich ein Ziehen bis zum Schmerz auftreten. Wenn man nach ein bis zwei Minuten die Spannung löst, wird der Schmerz immer seltener, je öfter man diese Übung durchführt. Darüber hinaus eignet sich der Gegenpol: nach vorne locker durchhängen lassen.

Die wichtigste Übung ist, aus dem Vierfüßlerstand kommend die Hüfte mit den Leisten voran durchhängen zu lassen und den Rücken zu entlasten, indem die Spannungen vorne normalisiert werden. Wer nicht so viel Kraft in den Armen hat, stützt die Hände zum Beispiel auf eine Couch und lässt das Becken durchhängen. Das sind ganz einfache Übungen, die die Ursache der Rückenschmerzen – nämlich die zu große Spannung der Muskeln und Faszien im vorderen Bereich – auflösen. Bei uns auf den Liebscher & Bracht-Kanälen, z.B. auf YouTube, findet man viele weitere Übungen, die sich zu Hause durchführen lassen.

Deutschland hat Rücken
Deutschland hat Rücken

Wie häufig sollte man diese Übungen durchführen?
An sechs Tagen in der Woche jeweils eine Viertelstunde für den gesamten Körper oder wenigstens fünf bis acht Minuten nur für den Rücken. Am besten einfach mal ausprobieren, hier gibt es viele kostenfreie Anleitungen per Video.

Wann ist eine medikamentöse Therapie oder eine Operation doch noch das Mittel der Wahl?
Meine Empfehlung ist: Gehen Sie pragmatisch vor. Versuchen Sie zuerst mit den Übungen, den Schmerz los zu bekommen. Wenn die Übungen nicht helfen, lassen Sie sich therapieren. Vielleicht haben Sie die Übungen falsch oder nicht intensiv genug durchgeführt. Mit einer Behandlung und der richtigen Anleitung wird es dann sicherlich besser. Medikamente oder Schmerzmittel kann man eine Woche zulassen, wenn man keine Zeit hat, die Übungen täglich durchzuführen. Aber über einen langen Zeitraum hinweg ist das dem Körper nicht zuträglich. Man riskiert weitere Schädigungen, wenn man dem Schmerz, der ein Alarmsignal ist, nicht auf den Grund geht.

Es gibt Fälle, bei denen eine Operation sinnvoll ist, zum Beispiel, wenn die Wirbel zusammengebrochen sind oder die Wirbelsäule nach Unfällen zerstört wurde. Aber wenn der mechanische Schaden so groß ist, dass man mit dem von uns beschriebenen Ansatz nicht mehr weiterkommt, sollte operiert werden. Bei unspezifischen Schmerzen, wenn gar nicht klar ist, was genau operiert werden sollte, eignet sich der pragmatische Weg. Sollten die Übungen über einen längeren Zeitraum hinweg nicht helfen, sollte man zunächst den gesamten Körper durchchecken lassen. Die Schmerzursachen können beispielsweise mit einem Tumor oder dem Herzen zusammenhängen. Aus meiner über 30 Jahre langen Praxis kann ich nur sagen, dass mir nur ganz wenige Fälle bekannt sind, wo es bei Rückenschmerzen zu einer Operation gekommen ist. In der klassischen Medizin sind zum Beispiel bei einem MRT die Faszien- und Muskelspannungen gar nicht zu sehen. Dabei sind diese die häufigsten Ursachen für Rückenschmerzen. Der Patient glaubt häufig, es sei alles abgecheckt. Aber das ist ein Irrtum.

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